Ganz schön stark. Dem Knochenschwund vorbeugen.
Prof. Dr. Reiner Bartl
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Osteoporose als eine der zehn wichtigsten chronischen Erkrankungen unserer Zeit eingestuft. Mit der steigenden Lebenserwartung wird diese Knochenerkrankung in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen, wobei heute bereits gut 40 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer über 50 Osteoporose-bedingte Knochenbrüche erleiden. Osteoporose bedeutet für die Betroffenen nicht nur Leid und Schmerz, sondern viel zu oft auch einen Verlust ihrer Unabhängigkeit. Besonders gefährdet sind Frauen nach den Wechseljahren, Männer im höheren Lebensalter sowie Männer und Frauen, die über einen langen Zeitraum mit Glucokortikoiden (Kortison) behandelt werden.
Was ist Osteoporose?
Als Knochenschwund oder Osteoporose wird eine über das normale Maß hinausgehende Brüchigkeit der Knochen bezeichnet, ausgelöst durch eine Reduzierung der Knochensubstanz und die Zerstörung der Knochenstruktur. Hierdurch können die Knochen schon bei geringster Belastung oder leichten Stürzen brechen. Osteoporose entsteht durch den Verlust an Knochenmasse und dieser wiederum durch ein Ungleichgewicht im kontinuierlichen Knochenauf- und -abbauprozess, wobei abgebaute Knochensubstanz nicht mehr vollständig durch neue ersetzt wird.

Gründer und langjähriger Leiter des Bayerischen Osteoporosezentrums am Klinikum Großhadern, LMU München | Veröffentlichung von mehreren Hundert Publikationen und vielen Büchern, sowohl für Patienten als auch für Mediziner. Prof. Dr. Bartl trägt durch seine Aufklärungsarbeit viel zur Information von Patienten bei. Aktuell arbeitet er in einer Praxis in München
Ursache können angeborene Risiken sein oder, weitaus häufiger, beeinflussbare Risiken wie z.B. mangelnde Bewegung, Untergewicht (ein BMI unter 20), Essstörungen (Magersucht, Bulimie), Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum. Auch bestimmte chronische Erkrankungen können Osteoporose verursachen (z.B. entzündliche Darmerkrankungen) oder die Langzeit-Einnahme von Glucokortikoiden. Alle Patienten, die z.B. aufgrund von "Rheuma", chronischen Atemwegs- und Darmerkrankungen oder nach Organtransplantationen länger als 6 Monate Glucokortikoiden (Prednisolon o.ä.) in einer Dosis von mehr als 7,5 mg pro Tag einnehmen, sollten unbedingt vor oder während der Therapie auf Osteoporose untersucht werden, um rechtzeitig einem möglichen Knochenschwund medikamentös entgegenzuwirken.
Wie macht sich Osteoporose bemerkbar?
Der Knochenschwund entwickelt sich langsam über viele Jahre. Typisch für die manifeste Osteoporose sind Knochenbrüche, besonders der Wirbelkörper, des Oberschenkelhalses sowie der Ober- und Unterarme. Sichtbare Zeichen sind der durch Wirbelkörperbrüche entstehende Rundrücken (Witwenbuckel) und eine deutliche Größenabnahme (mehr als 4 cm). "Schleichende" Brüche von Wirbelkörpern werden häufig nicht erkannt. Akute Wirbelköpereinbrüche sind dagegen äußerst schmerzhaft (Vernichtungsschmerz, ähnlich dem beim Herzinfarkt) und beeinflussen das tägliche Leben nachhaltig.
Die Bewegung ist eingeschränkt, damit nimmt die Sturzneigung noch mehr zu, mit der Gefahr weiterer Knochenbrüche z.B. von Armen und Rippen, wobei die zugrunde liegende Osteoporose immer noch viel zu selten diagnostiziert und adäquat behandelt wird.
Die meist folgenreichste Osteoporose-Komplikation ist der Oberschenkelhalsbruch: Jeder fünfte Patient wird zum dauerhaften Pflegefall und ein weiteres Fünftel verstirbt innerhalb von einem Jahr an den Folgen des Bruchgeschehens.
Diagnose der Osteoporose
Wenn der Verdacht auf Osteoporose besteht, muss sofort mit einer adäquaten Behandlung begonnen werden, um dem weiteren Knochenschwund Einhalt zu gebieten und verlorene Knochensubstanz wieder aufzubauen. Vor der Einleitung der Behandlung steht eine genaue Diagnostik mit Anamnese und klinischer Untersuchung (Körpergröße, Gewicht, evtl. Verformungen der Wirbelsäule, Rundrücken), Röntgenaufnahme der Wirbelsäule bei Verdacht von Wirbelbrüchen und einer Knochendichtemessung mittels DXA. Mit dieser Methode, die als Gold-Standard der Messmethoden gilt, wird der Mineralgehalt des Knochens mittels Röntgentechnik, bei äußerst niedriger Strahlenbelastung festgestellt. Die Auswertung erfolgt mit dem T-Wert, der zeigt, wie niedrig die Knochendichte im Vergleich zu den Werten junger Erwachsener ist. Je niedriger der T-Wert, umso höher ist das Knochenbruchrisiko. Ultraschalluntersuchungen des Knochens sind kein Ersatz für eine Knochendichtemessung und nicht geeignet, als alleiniges Beurteilungskriterium über die mögliche Therapie zu entscheiden. Blutuntersuchungen werden nur durchgeführt, um andere Stoffwechselstörungen im Bereich der Knochen zu erkennen oder ausschließen zu können.
Vorbeugung - ist das möglich?
Osteoporose ist eine Erkrankung, die in der Kindheit beginnt und sich im Alter bemerkbar macht. Eine knochengesunde Lebensweise ist damit eine lebenslange Aufgabe. Dazu gehören:
Die ausreichende Versorgung mit Calcium mit einem Richtwert von ca. 1000 bis 1500 mg täglich, wobei der höchste Bedarf in der Jugend und im Alter, während Schwangerschaft und Stillzeit besteht. Nur im optimalsten Fall kann der Calciumbedarf über eine ausgewogene Ernährung gedeckt werden. Da dieser Fall aber kaum vorkommt, ist die Substitution mit Calcium als Nahrungsergänzung angezeigt, zumal man so die Einnahmemenge genau den Erfordernissen anpassen kann.
Genauso wichtig wie die Calciumaufnahme ist Vitamin D für gesunde Knochen. Der Körper kann Vitamin D selbst produzieren (Vitamin D wird in der Haut durch UV-Strahlen gebildet). In Mitteleuropa ist jedoch aufgrund der Sonnenscheindauer, besonders im Herbst und Winter, keine ausreichende Versorgung gewährleistet, so dass auch hier eine Substitution dringend anzuraten ist. Vitamin D ist dabei nicht nur für den Einbau von Calcium im Knochen verantwortlich, sondern spielt auch bei der Vermeidung von Stürzen eine große Rolle.
Gesunde Knochen brauchen regelmäßige Belastung und Bewegung. Immer dann, wenn Muskeln Zug auf die Knochen ausüben, kommen die Osteoklasten in Bewegung und produzieren Knochensubstanz. Besonders ständig wechselnde Belastung regt die Knochen an, widerstandsfähiger und damit weniger bruchgefährdet zu werden. Regelmäßiges schnelles Gehen (z. B. Nordic Walking), Gymnastik, Krafttraining in der Gruppe oder auch zu Hause stärken gezielt gefährdete Knochenbereiche. Durch Bewegung wird auch das Zusammenspiel von Muskeln und Knochen sowie die Koordinationsfähigkeit trainiert, was Stürze vermeiden hilft.
Sturzvermeidung
Schon ganz normales Bücken oder Heben von leichten Gegenständen kann osteoporotische Wirbel einbrechen lassen. Arm- und Beinfrakturen und speziell der Oberschenkelhalsbruch entstehen dagegen nur im Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Sturz. Die beste Prophylaxe gegen einen sturzbedingten Knochenbruch ist demnach die Vermeidung des Sturzes. Leicht zu beseitigende Sturzfallen sind so alltägliche Dinge wie rutschende Teppiche, nasse Böden, lose Kabel, aber auch glatte Schuhsohlen. Eine ungeeignete Brille lässt leicht Stolperfallen übersehen, so dass die Sehstärke regelmäßig einmal im Jahr überprüft und die Gläser notfalls angepasst werden sollten. Aber auch Medikamente können zu Schwindelgefühl und Gangunsicherheiten führen, ein Sturz ist vorprogrammiert.
Auch wenn es seltsam klingt. Die beste Sturzprophylaxe ist ausreichend Bewegung, wobei ein Bewegungstraining überall und jederzeit möglich ist. Selbst in der Küche beim Kochen lässt sich der Stand auf einem Bein trainieren. Und abends kann das Sofa vor dem Bildschirm ohne Aufwand zur Trainingsbank werden: Mit "gewichtigen" Hand und Fußmanschetten lässt sich quasi nebenbei und ohne großen Aufwand ein tägliches Krafttraining absolvieren.
Zusätzlich können mit modernen Hüftprotektoren die fatalen Folgen eines seitlichen Sturzes auf den Oberschenkelhals minimiert werden. Solche Hüftprotektoren sind ganz leicht und weich, aber stark im Nehmen: Die bei einem Sturz auftretende Energie wird vom Oberschenkelhals weg absorbiert und in das umliegende Weichteilgewebe verteilt. So bleibt ein Sturz ohne schlimme Folgen.
Osteoporose kann erfolgreich behandelt werden
Wenn klinische Untersuchung und DXA-Knochendichtemessung die Diagnose "Osteoporose" ergeben haben, bleiben die Grundpfeiler einer erfolgreichen Behandlung die gleichen wie bei der Vorbeugung: Bewegung und gesunde Ernährung, dazu kommt in jedem Fall die Nahrungsergänzung mit Calcium und Vitamin D. Zusätzlich ist aber bei der manifesten Osteoporose die medikamentöse Therapie mit speziellen Wirkstoffen (z.B. Bisphosphonate) unabdingbare Voraussetzung. Die Diagnose "Osteoporose" stellt kein unabänderliches Schicksal dar, sondern kann durch geeignete Maßnahmen mit hervorragenden Ergebnissen therapiert werden. Besonders wichtig und begleitend zu jeder Therapie sind körperliche Bewegung und ein adäquates Krafttraining, um die Koordinationsfähigkeit, das Gefühl für die Balance und auch die Gehsicherheit zu verbessern, was Stürzen und in deren Folge Knochenbrüche vermeiden hilft. Ein solches Training kann unter Anleitung bis ins höchste Alter noch erfolgreich begonnen werden. Aber wie bei jeder Erkrankung liegt die Hauptverantwortung bei den Betroffenen selbst. Weitergehende Unterstützung und Hilfestellung finden die Patienten auch in Selbsthilfegruppen, in denen neben dem regelmäßigen Erfahrungsaustausch ein breitgefächertes Informationsprogramm den Umgang mit der Krankheit erleichtern und gemeinsame Aktivitäten die Lebensqualität der Betroffenen wesentlich verbessern hilft.
© Text: Ganz schön stark - dem Knochenschwund vorbeugen | Prof. Dr. Reiner Bartl, Christiane M. Schröder| erschienen in Orthoprof. | Mit freundlicher Genehmigung durch Edition Nymphenburg